Benjamin Kobler
spielte
romantische Werke von Frédéric Chopin (1810 –1849 ) und Robert
Schumann (1810 – 1856 )
dazu
las
Volker Westphal
Auszüge
aus
"Kreisleriana" und "Lebensansichten des Kater Murr"
von E.T.A. Hoffmann
Der
Pianist und Synthesizerspieler Benjamin Kobler wurde 1973 in München geboren.
Er wuchs in der inspirierenden Atmosphäre einer Musiker- und Theaterfamilie
auf. Den ersten Klavierunterricht bekam er im Alter von fünf Jahren von
Siegrid Ernst.
Seine pianistische Ausbildung erhielt Benjamin Kobler in Karlsruhe bei Carmen
Piazzini, am Pariser Conservatoire bei G. Pludermacher und an der
Musikhochschule Köln in der Solistenklasse von Pierre-Laurent Aimard.
Unter der Anleitung von Péter Eötvös erarbeitete er sich
exemplarische Werke der klassischen Moderne und der Avantgarde.
1995 spielte Kobler das 3.Klavierkonzert von S. Rachmaninoff mit den
Berliner Symphonikern im dortigen Schauspielhaus.
Im Juli 2001 wurde er für die 4. Sommerakademie des Ensembles
Intercontemporain ausgewählt, in der Cité de la Musique (Paris) unter der
Leitung von Myung-Whun Chung den Solopart in Olivier Messiaens "Des
canyons aux étoiles..." zu übernehmen. Weitere Auftritte mit den
Berliner Philharmonikern, dem SWR - Orchester Stuttgart, dem WDR-Orchester Köln.
Kobler verbindet eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Ensemble
Modern(Frankfurt), die ihn in Kontakt mit so verschiedenen Musikerpersönlichkeiten
wie S. Reich, H. Holliger und Z. Kocsis brachte. Seit dem Sommer 1999
ebenfalls intensive Tätigkeit im Stockhausenensemble und in der Musik-Fabrik
(Köln).
Benjamin
Kobler spielte zahlreiche Uraufführungen, u.a. von K. Stockhausen (3 X
Refrain 2000, Der Kinderfänger, Stop und Start, Hoch-Zeiten), H. Pousseur
(Variation I), F. Hummel (2.Klaviersonate).
V. Baltakas widmete ihm das Klavierstück "Pasaka – ein Märchen"
sowie Orm Finnedahl das Klavierstück "Versatzstücke". Auftritte
bei musica-viva (München), dem Schleswig-Holstein Musikfestival, den Berliner
Festwochen, dem Klavierfestival Ruhr, dem Festival Acoustica (ICA, London),
bei der Musiktriennale (Köln), dem Festival musica (Strassburg), den
Weingartener Tagen für Neue Musik, den Donaueschinger Tagen für Neue Musik
und anderen; Konzertreisen in die europäischen Musikzentren sowie nach
Brasilien und Korea; CD-Aufnahmen bei RCA (Reich), arte-nova (Hummel), dem
Stockhausen-Verlag, wergo (Finnedahl), HatHut (Wolpe); Rundfunkaufnahmen beim
WDR, SWR, HR, BR, Deutschlandfunk und der BBC.
Das
Programm:
Frédéric
Chopin (1810 - 1849)
Mazurka
Op. 59 Nr. 1 in a - moll
Etüden:
Op. 10, Nr. 1 in C-Dur
Op. 10, Nr. 10 in As-Dur
Op. 10, Nr. 11 in Es-Dur
Op. 10, Nr. 12 in c -moll
Die
Etüden Op. 10 stammen aus der Zeit von 1829 bis 1832 und sind Franz Liszt
gewidmet.
Op.
25, Nr. 2 in f -moll
Op. 25, Nr. 3 in F- Dur
Op. 25, Nr. 4 in a -moll
Op. 25, Nr. 7 in cis -moll
Op. 25, Nr. 8 in Des-Dur
Op. 25, Nr. 9 in Ges-Dur
Op. 25, Nr. 12 in c -moll
Die
Etüden Op. 25 sind von 1837 und sind der Gräfin d'Agoult gewidmet. Liszt und
d'Agoult sind die Eltern von Cosima Wagner, Liszt also der
Schwiegervater von Richard Wagner.
Liszt hat natürlich die Etüden von Chopin gespielt, offensichtlich sehr gut
und "angeblich" vom Blatt.
Pause
Robert
Schumann (1810 – 1856)
Kreisleriana
op. 16 (1838)
Fantasien,
seinem Freunde F.Chopin zugeeignet
1.
Äußerst bewegt
2. Sehr innig und nicht zu rasch
3.Sehr aufgeregt
4. Sehr langsam
5. Sehr lebhaft
6. Sehr langsam
7. Sehr rasch
8. Schnell und spielend
Zusatzinformationen
zur Kreisleriana von Robert
Schumann:
Fantasie
I
(äußerst bewegt):
das hätte ein hochfahrender, davon stürmender Gestus werden können,
sozusagen überschüssige Lebens- Freude, wäre da nicht jene komplex
verstrickte Dreistimmigkeit (Bach lässt grüßen sogar dort, wo man ihn ganz
und gar nicht vermutet), wären da nicht die mannigfachen rhythmischen
Verschiebungen, die den florestanischen Schwung bremsen und ihn wie gegen
Widerstand anwühlen lassen mit mancherlei Stolperern. Deswegen überhastete
Musik, die schneller will, als sie darf. Musik im siedenden
und doch dickflüssigen Zustand, unterschnitten mit einem einfachen Lied-Gebilde, dessen
unschuldig-kindliche Verspieltheit in den
zierlichen Dreiklangsranken durchscheint: diffus, verschleiert, als vage Andeutung. Musik
"wie mit einem Bleistift schnell hingeworfen" und mit der Tür ins
Haus fallend, Musik , im Kreislerschen "Zustand des Delirierens" und
von "überreizbarem Gemüt".
Fantasie
II (sehr
innig und nicht zu
rasch /
sehr
lebhaft / etwas
bewegter / langsamer}:
eine schlichte Weise in der Art des
nachdenklichen, besonnenen Eusebius; nachdenklich wegen seiner um einen
gedachten Mittelpunkt kreisenden Suchbewegung und mit verströmendem Gesang,
von dem Kreisler gesagt haben würde: "frei und ungezwungen unmittelbar
aus der Brust des Menschen strömen[d], der selbst das Instrument ist, welches
in den wunderbarsten, geheimnisvollsten Lauten der Natur ertönt".
Umschnitt in das motorisch und polternd dreinfahrende Intermezzo I,
so plötzlich, als wolle sich in einem imaginären Dialog mit großer
Heftigkeit Protest formulieren. "Hammerschläge", die den
"Schlaftrunkenen" zu wecken scheinen. Gedankliche Fragmente, die
durch ein entzündetes Gehirn huschen. Zurück zum freien, ungezwungenen
Gesang; in der Wiederholung zeigt er Spuren von Anstrengung so, als sei die Störung
durch das Intermezzo I noch nicht überwunden (zum Schluss wird
der Gesang dann Merkmale von Auflösung zeigen). Das singende Nachsinnen öffnet sich
ins Intermezzo II, in
den Gestus des phantasievollen, rhapsodischen Erzählens. Allerdings, hört
man genau hin, auf zwei Stimmen duettierend verteilt. Eusebius, Schumanns eine
von zwei höchst widersprüchlichen Seelenseiten, stellt sich selbst als noch
einmal in sich gebrochen dar: als der Besonnene einerseits, als der in
unausgegorenen Grübeleien und Phantastereien Verirrte andererseits. Und nicht
zufällig "spricht" er stets in chromatisch gedrückter, polyphon
verdickter Klangrede, mit modulierender Weitschweifigkeit im Sinne Kreislers:
"sie [die Modulationen] gehen aus den verschiedensten Anregungen des
bewegten Gemüts hervor, und so, wie diese sanft, stark, gewaltig, allmählich
empor keimend, plötzlich ergreifend sind, wird auch der
Komponist [...] bald in verwandte, bald in entfernte Tonarten, bald allmählich
übergehen, bald mit einem kühnen Ruck ausweichen" ... oder, gegen Ende
dieser Schumann. Fantasie, sich quasi improvisando in immer brüchigere
Klangbilder zerfasern.
Fantasie
III (sehr aufgeregt / etwas langsamer / Tempo I / noch schneller):
ein
spukhaftes Gebilde, kurzatmig, fahrig und mit Anflügen von Zorn einerseits,
von galligem Humor andererseits, eine - Prokofjew hätte später gesagt - »vision
fugitive«. Wenn man so will, das kauzige Portrait Kreislers, der seinen Brief
an Baron Wallborn unterschreibt mit "Johannes Kreisler, Kapellmeister wie
auch verrückter Musikus par exellence". In der Tat: An- fangs- und
Schlussteil, vor allem die vollkommen überdrehte Stretta in kanonischer Engführung
ist verschrobene, verschobene Musik und stets in Gefahr, aus den Fugen zu
gehen, wäre da nicht der verströmende, über alle Ufer tretende Fluss des
ausschweifend singenden Mittelteils, dessen zärtliche Empfindsamkeit -typisch
für Kreisler, typisch für Schumann - zu schlanken polyphonen Zöpfen geflochten wird
... "dagegen", heißt es über Kreisler, "gefiel er sich oft
darin, stundenlang auf dem Flügel die seltsamsten Themas in zierlichen
kontrapunktischen Wendungen und Nachahmungen, in den kunstreichsten Passagen
auszuarbeiten«. Und ganz ähnlich kokettiert Schumann in scheinbarer Verwunderung: "
...namentlich ist es so sonderbar, dass ich fast alles kanonisch erfinde, und
wie ich die nachsingenden Stimmen immer -erst hinterdrein entdecke, oft auch
in Umkehrungen, verkehrten Rhythmen etc. [...]. Meine Musik kommt mir jetzt
selbst so wunderbar verschlungen vor bei aller Einfachheit, so sprachvoll aus
dem Herzen". Redete nicht auch Kreisler von den "einfachen, aber
tief in das Innerste dringenden Tönen"? Einfachheit ist bei beiden
indessen ein schillernder Begriff: so eng der instrumentale Gesang an die
Einfachheit und Natürlichkeit menschlichen Singens sich anschmiegen will und
so weit sich seine poetische Ausdruckskraft von der Mitteilung in Prosa-Form
entfernt, so geistvoll, d.h. so kunstreich wird das scheinbar Einfache ins
kompliziert - kontrapunktische Koordinatennetz eingewoben. Bei Hoffmann hot
er, Schumann, sehr aufmerksam gelesen, dass es notwendig sei, das "in der
Ekstase bewusstlos im Innern Empfangene mit höherer Kraft festzuhalten".
Das hat er verinnerlicht.
Fantasie
IV (sehr langsam / bewegter):
hier spricht der Dichter wie in den Kinderszenen. Was er spricht? Wir wissen
es nicht, denn darauf kommt es nicht an in diesem düster gestimmten Rezitativ
mit seinen zahlreichen Doppelschlag- und Kadenzfiguren aus der Welt des
Belcanto. Wichtig ist der Tonfall des Erzählens: leise, behutsam, nicht ohne
Larmoyance und nicht ohne depressive Tönung, sofern man das unaufhaltsame
Trudeln in die tiefdunklen Register beim Wort nimmt. Aber auch nicht ohne zärtliche
Emphase in den seufzend punktierten Sekund-Vorhalten. Viele Fragen, aber auch
manche Antwort in diesem Rezitativ,
darin zwei Personen sich zu Wort melden und eine Sprache zu sprechen scheinen.
Der junge Kreisler, wie er "den Kopf seitwärts auf den Deckel des
Instruments" legt, die Augen zudrückt und "in einer andern
Welt" ist? Folgt ein Arioso, ein simples "Lied ohne Worte",
eine Kinderszene, ein kurzer Moment, wo durch die düsteren Wolken des
Schumannschen Charakters ein paar Sonnenstrahlen dringen. Nicht lange,
dann hebt das eingetrübte rezitativische Frage- und Antwortspiel aufs
neue an, entkrampft sich überraschenderweise
aber in ein Wärme i verbreitendes D-Dur. Frieden für die Dauer eines
fermatierten Akkords.
Fantasie
V
(sehr lebhaft):
Humor à la Schumann: bockspringend, in kanonischen Engführungen
querfeldein hüpfend, kauzig und flüchtig, skurril und seltsam gebrechlich
... "und wirklich hatte man ihn mit zwei übereinander gestülpten Hüten
und zwei Rastralen, wie Dolche in den roten Leibgürtel gesteckt, lustig
singend zum Tore hinaus hüpfen gesehen". Die Kreislerschen
"gewaltsamen Ausbrüche, von irgendeinem Gram erzeugt", mag man in
den nachfolgenden Klangeruptionen wiederfinden, auch jene eigentümliche
Ratlosigkeit an manchen Stellen, wo sich die thematischen Gebilde nicht
entschei-den können, welche Richtung einzuschlagen sei. Der Grundton dieser
Fantasie ist balladesk, manche erzählenden Partien wirken illustrativ.,
manche nachdenklich, einige scheinen mit aufbrechendem Pathos vorgetragen zu
werden. Da haben wir ihn, den Geschichtenfabulierer... "jetzt sieh'
Deinen alten Robert - ist er nicht noch der Läppische, der
Gespenstererzähler und Erschrecker?"
Und jetzt seht den schrulligen Kreisler, den ironischen Karikaturisten
- ist er nicht noch der Verschrobene, "wie er seinen Tod beschlossen und
sich im nächsten Wald mit einer übermäßigen Quinte erdolchen werde",
mit seinen Geschichten, "abzugeben in der Welt, dicht an der großen
Dornenhecke, der Grenze der Vernunft?".
Fantasie
VI (sehr langsam / etwas bewegter):
nimmt man ihre "Körperhaltung"
beim Wort, entsteht das Bild eines vor dem Klavier Eingesunkenen, der
improvisierend so etwas wie eine romantische Ouvertüre zu ertasten versucht
mit ständig sich wiederholenden "Redewendungen" und mit wackeligen
Akkordgestalten, welche klingen, als suche sich da einer die Töne zusammen.
Nicht, wie in der C-Dur-Fantasie, "im Legendenton", denn die
gedanklich angedeuteten Fortführungen bleiben stecken und münden wieder ein
in dieses introvertierte Stochern und Sinnieren. Für Augenblicke kommt das
ziellos treibende Schifflein in Fahrt (das Bild ist nicht zufällig, in der
Tat schaukelt es auf den leichten Wellen einer Barcarole), verfängt sich dann
aber doch wieder in seiner richtungslosen Kreisbewegung, in Kreislerscher
Einsamkeit, "wo die ewig waltende Macht in dem Rauschen der Eichenblätter
über meinem Haupte, in dem Plätschern der Quelle wunderbare Töne anregt,
die sich geheimnisvoll verschlingen mit den Lauten, die in meinem Innern ruhen
und nun in herrlicher Musik hervorstrahlen". Und Schumann? "Es strömte
mir zu, .ich sang immer dabei mit - und da ist's meistens gelungen, Mit den
Formen spiel ich. Überhaupt ist es mir seit etwa anderthalb Jahren, als wär
ich im Besitz des Geheimnisses; das klingt so sonderbar". Ja, mit den
Formen spielt er, auch mit den überlieferten Gattungen (hier: der alten
Ouvertüre), die er sich wie durch ein umgedrehtes romantisches Fernglas
betrachtet. Was er dort sieht? Geheimnisvolles
à la Kreisler.
Fantasie
VII (sehr rasch / noch schneller):
nach solchem Versinken ins Geheimnisvolle der plötzliche Überfall ohne
Vorwarnung, die sinnliche Attacke aus dem Hinterhalt. Zustand größter
Verwirrung und besinnungsloser Ekstase. Ein Kreislerianum am Rande des
Irrsinns mit "überreizbarem Gemüt" und mit
"bis zur zerstörenden Flamme aufglühenden Phantasie", die
nur der zum klingenden Inferno erweckt, der das Tempo - wie in der
vorliegenden Einspielung - über die Grenzen des Spielbaren hinausjagt und ein
wahrhaft durchgeknalltes Delirium entfesselt weit jenseits fingerbrechender Etüden-Virtuosität.
Da streckt die Musik "ihre krallichten Knochenfäuste aus dem zerrissenen
Mantel [...] Es ist der Wahnsinn - Johannes, halte dich tapfer!".
Da, der Teufel! Er "schmeißt mir die Lichtscheren in die Saiten,
damit Ich nur nicht mehr spielen soll!". Und nichts hilft ihm, auch nicht
das hämmernde Wühl - Fugato, welches tobt, als erscheine Bachs Geist in
einem wüsten Alptraum.... "die Noten wurden mir lebendig und flimmerten
und hüpften um mich her - elektrisches Feuer fuhr durch die Fingerspitzen in
die Tasten ...". Wenig bringt auch die überhastete Flucht in den frommen
Choral, zu jenem Punkt, wo Kreisler "sich gewöhnlich in einem düstern
Abgrund hoffnungsloser Klagen stürzt" oder wo, wenn Kreisler am Klavier
über Bach phantasiert, der Geist die Gedanken überflügelt und im ganzen
Saal "die Kerzen düstrer und düstrer brannten". Phantastereien und
ernster Choral, Teufelsspuk und frommer Gesang: alles ist aus dem Lot, und
nichts wirft ein grelleres Licht auf einen Robert Schumann, der hinter der
Maske eines derart
aus der Bahn geschleuderten Johannes Kreisler sich versteckt, soll heißen:
sich demaskiert.
Fantasie
VIII (schnell und spielend):
Ja, mit den Formen spielt er,
hier mit der alten Gigue, und er spielt mit Ihr Fußball. Das ist alles andere
als ein fröhliches Tänzchen, sondern eine kraftloses Spukszenario mit
permanent daneben tretenden Bassschritten. Wie in der 7. Fantasie ist auch
hier alles aus dem Lot, nur anders: der metrisch. rhythmische Boden schwankt,
und auf ihm bewegen sich schwankende Gestalten, vorwärts getrieben durch die
unaufhaltsame Eigendynamik einer monoton dahinhumpelnden Prozession. Sind das
nicht seltsame Schluckaufs, die man hört, rätselhafte Schluchzer? Vorübergehend
fasst der Fuß festeren Tritt, vorübergehend zeichnet sich den
melodischen Gedankenfetzen eine erkennbare Richtung ab, thematische
Erinnerungen steigen herauf, vorübergehend verheißen orchestrale Fanfaren
und markant deklamierende Rhythmen Erlösung, Sieg, Triumph, was auch immer.
Alles Täuschung, alles Spuk und schöner Traum: die unerbittliche Monotonie
dieses gespenstischen Perpetuum mobile überwuchert das hoffnungsvoll
Angedeutete, frisst es krebsartig auf, reißt alles mit sich und zieht es
runter dorthin, wo der letale Punkt ist, wo die Musik ganz trocken »Und
Schluss!« sagt. Ein Scherzo mit
tödlichem Ausgang. Ein Totentanz in Schwarzweiß. Ein Zerrbild, darin mit
"falschen Noten", alles aus dem Leim geht. Ein Bild des allmählichen
Verrückens, des unabwendbaren Ver - rücktwerdens. Eine vielleicht unbewusste
und früh vorweggenommene Projektion dessen, was Schumann erwartet. Nur einen
Engel des Lichts, so Kreisler, gebe es, welcher Macht habe über den bösen Dämon:
"Es ist der Geist der Tonkunst, der oft aus mir selbst sich siegreich
erhebt". Schumann, indem er diesen »Geist der Tonkunst« zu beschwören
versteht wie kein anderer, Schumann verstrickt sich tiefer noch als der verrückte
Kapellmeister in eine Vision jenes bösen Dämons, der dann doch die Macht über
ihn gewinnen wird. Das Kreislersche Leiden unter "entsetzlicher
furchtbarer Angst", die Furcht vor dem geheimnisvollen "Doppelgänger"
- Schumann, Kreislers alter ego, verhilft solchen Phobien zum Laut und deutet
in den zwei Stimmen der rechten Hand das Doppelgängerische ebenso vorsichtig
an, wie er im gesamten Zyklus die gespaltene Persönlichkeit eines Johannes
Kreisler hemmungslos herbeibeschwört, die doch eigentlich seine eigene ist.
Nein,
das sind keine tönenden Liebesbriefe an Clara in der üblichen Manier eines
Verliebten. Eher sind es chiffrierte Warnbriefe, verschlüsselte Steckbriefe.
Und vielleicht hat Clara sie tatsächlich dechiffriert, denn zwanzig Jahre
lang weigert sie sich hartnäckig, die Kreisleriana zu spielen {das tut
sie erst 1858, zwei Jahre nach seinem Tod, und dann auch nur Teile daraus).
Denn es sind egomanische Monologe des Robert Schumann mit sich selbst hinter
der vorgehaltenen Maske des Kapellmeisters Kreisler. Bilder der Zerrissenheit,
aber nicht, wie oft behauptet, zwischen der prosaischen Alltagswelt und dem
Reich der Poesie, sondern zwischen dem Gesunden und dem Kranken mit wenigen
euphorischen Momenten und mit vielen Ausbrüchen, Ratlosigkeiten und
Zusammenbruchs -Ahnungen und vor allem mit ihren geradezu wetterwendisch
umschlagenden Launen und Gestimmtheiten. Die Kreisleriana kommen mit
den ersten Takten der ersten Fantasie aus dem Unbestimmten, sie verflüchtigen
sich in den letzten Takten ins Unbestimmte, Undenkbare, Unaussprechliche. Die Kreisleriana
stünden unter dem Zeichen von verheißenem Ehe - Glück, wie man sagt?
Das tun sie gewiss nicht. Sie stehen unter dem Zeichen von Selbstgefährdung,
Selbstzweifel Schizophrenie und von verheißenen Konflikten, die er (Schumann
weiß es ) nicht wird lösen können. An jenem Spagat zwischen behaglicher Bürgerlichkeit
und heimatloser Künstler-Isolation, an dem schon Kreisler zerbrach, wird er
(auch das weiß er) ebenfalls zerbrechen. Seine hellsichtigen poetischen
Reflexionen des misslungenen Glücks von Kapellmeister Kreisler geraten in den
Kreisleriana zur verschlüsselt formulierten Prognose seiner eigenen
Zukunft, denn (damit wird er leider Recht behalten) ...."die Künstler
sind Propheten".
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